Zu einem sehr interessanten Vortrag hatte der Kultur- und Heimatverein Badulikum am Dienstag, den 7. April 2015 im Rahmen der Werkstattgespräche in die Rathausstube eingeladen. Auf den Tag genau vor 70 Jahren, ein Samstag vor dem weißen Sonntag, wurde Belecke von der Naziherrschaft durch die amerikanischen Soldaten befreit. Das interessante an diesem Vortrag war, dass den Zuhörern gleich von zwei Zeitzeugen über eigene Erlebnisse berichtet wurde. Peter Wessel, damals zwölfeinhalb Jahre alt, erlebte das Kriegsende und war, wie er selbst sagte: „kriegserfahren“, er hatte Fliegeralarme, Bombeneinschläge und die nationalsozialistischen Schreckensherrschaft miterlebt. Der heute in Düsseldorf lebende Heinz Tigges, Jahrgang 1931, Sohn des aus Drewer stammenden Lehrers Heinrich Tigges war extra aus Düsseldorf zu diesem Gespräch angereist. Die Familie Tigges war Ostern 1945 in Belecke, sie wohnte in einem Fachwerkhaus am Sennhof. Und Willi Hecker, Ortsheimatpfleger aus Sichtigvor, hat sich in den letzten Jahren sehr intensiv mit der Naziherrschaft und dem Leben während des zweiten Weltkriegs im Möhnetal beschäftigt.
„Für die Belecker war der Krieg und die Naziherrschaft am 7. April 1945 beendet und wir freuen uns, dass wir Zeitzeugen haben, die uns im Rahmen der Werkstattgespräche über ihre eigenen Erlebnisse berichten“, freute sich Dr. Thomas Schöne und gegrüßte alle Zuhörer in der bis auf den letzten Platz besetzten Rathausstube.
Zunächst gab Willi Hecker einen Überblick vom D-Day, dem 6. Juni 1944, als die Amerikaner und Engländer in der Normandie den Angriff auf die deutsche Wehrmacht starteten. Nach nur sechs Wochen hatten die Alliierten den Westwall erreicht, in dieser Zeit waren über 400000 Soldaten gefallen und unzählige Zivilisten getötet. Die Befreiung der hiesigen Gegend wurde dann im Februar 1945 eingeleitet. Mehrere Panzerdivisionen nahmen von Süden über Marburg und Winterberg und entlang der Lippe das Sauerland und das Ruhrgebiet in eine Zange. Vielerorts gab es sehr wenig Wiederstand, da die Wehrmacht stark geschwächt war und in den kleinen Ortschaften nur noch alte Menschen sich mit sehr einfachen Mitteln zu wehren versuchten. Vergebens wurden Panzersperren aus Baumstämmen errichtet, sogar Brücken wurden gesprengt. Für die heranrückenden Panzer der Amerikaner war das keine Schwierigkeit, sie umfuhren die Stellen, fuhren Häuser oder Scheunen ein, selbst vor Flüssen und Bächen machten sie keinen Halt.
Sehr groß war das Interesse der Belecker beim 6. Werkstattgespräch.
Zunächst berichtete Willi Hecker über die Invasion der Alliierten in der Normandie und den weiteren entscheidenden Kriegsverlauf.
29. März 1945 Gründonnerstag
Peter Wessel berichtete von seinen Erlebnissen die bereits am Gründonnerstag, also über eine Woche vor der Kapitulation in der Propsteikirche begann. Während der Messe, Peter Wessel und Edmund Schulte waren als Messdiener eingeteilt, stürmte ein Mann in die Kirche, ging direkt zum Vikar an den Altar und sagte ihm etwas, dieses sollte zunächst keiner hören. Sogleich informierte der Vikar: „Brilon ist eingenommen worden!“ Alle Gläubigen waren verwundert und erschrocken, wussten nicht so recht was nun geschehen werde. Der Vikar las die Messe eilig bis zum Ende und die Kirchenbesucher gingen diskutierend und voller Angst, was nun noch auf sie zukommen werde in ihre Häuser. „Wir Messdiener allerdings mussten für den Karfreitag und die Osterliturgie in der Kirche bleiben, um zu üben“, berichtete Wessel weiter.
Von der letzten Kriegswoche erzählte Peter Wessel.
1. April 1945 Ostersonntag
Ein Nachbar fragte den jungen Peter, ob er nicht mit auf den Rabenknapp gehen wolle, er müsse zu seinen Kühen, die dort auf der Weide standen und er wollte ihm das neue Flakgeschütz zeigen. Ohne zu überlegen ging er mit. Hier am Osterfeuerplatz hatten die Soldaten ein 2,5 Zentimeter Geschütz aufgestellt. Weitere standen an der heutigen Berliner Straße und am Schwimmbad, um die Siepmann-Werke zu schützen. Ein weiteres stand am Beckerhaan. „Dort haben uns die Soldaten immer Karussell spielen lassen“, berichtete Heinz Tigges mit einem Lächeln. „Vom Rabenknapp waren schon weiße Fahnen am Rüthener Wasserturm und am Gymnasiumturm zu sehen. Die Geschützsoldaten schossen auf ein amerikanisches Flugzeug, im Sturzflug feuerte der Piloten zurück, keiner wurde verletzt und der Flieger drehte wieder ab“, berichtete Wessel weiter. Wegen der anrückenden Alliierten befahl der Volkssturm an vier Stellen Panzersperren zu bauen. Külbe, Drewerweg, Rüthener Landstraße und Ortsausgang Richtung Warstein. Allesamt waren sie aus Baumstämmen errichtet. Peter Wessels Vater kam abends wutentbrannt nach Hause zurück. Er hatte sich dem Bau der leichten Panzersperren wiedersetzt, doch der Leutnant des Volkssturms hatte ihm den Befehl gegeben weiterzubauen. Er hatte ihm die Pistole an den Kopf gehalten und gedroht: Wenn Du nicht machst was ich dir sage, dann gehen wir hinter die Scheune.“ Derweil hatte die Belecker ihre Kellerdecken in ihren Fachwerkhäusern mit Balken und Bohlen abgestützt und ihre Kellerfenster mit Mist geschützt.
3. April 1945 Dienstag
Es kam am Drewer Steinbruch zu einem Kampf zwischen amerikanischen und deutschen Soldaten: elf Soldaten gefallen. Von Belecke aus waren Panzer an Göbeln Linde zu sehen.
5. April 1945 Donnerstag
Belecke wird von den Panzern beschossen, Treffer an Bangen Hof in der Lanfer, ein Belecker Bürger in der Oststraße durch Querschläger getötet, Frau Steimann von einem Querschläger an der Schulter verletzt. Immer wieder Beschuss mit Feuerpausen. August Störmann hatte sich auf seinem Grundstück einen Bunker mit einer sechzig Zentimeter dicken Betonwand gebaut, er bot 49 Personen Schutz. Nur der Bunker sah aus Sicht er heranrückenden Amerikaner aus, als wäre es eine Kommandozentrale und deswegen zählte man später 36 Volltreffer, alle Schutzsuchenden überlebten den Angriff. Weitere Bunker waren im Teufelsloch, unter dem Propsteiberg an Stütings-Mühle, dieser war 80 Meter lang, 2,40 Meter breit und 2,30 Meter hoch, ein Ausgang führte zum kleinen Speicher (Backhaus), er bot 400 Personen Schutz. Für die Siepmann-Mitarbeiter war ein Bunker unter dem Sellerberg und Familie Siepmann hatte einen Bunker unter dem großen Külbenstein. Ein Weiterer war zwischen den Häusern Blanke und Feldmann am Westerberg. Die Amerikaner schossen immer zwischen 13 Uhr und 17 Uhr, nachts war Ruhe. Insgesamt hatte Belecke 700 bis 800 Treffer erlebt, besonders die Häuser an der Oststraße, Propsteikirche, Humpert und Vikarie waren Ziele, einige Schüsse gingen über die Altstadt und trafen Ziele in der Lanfer.
7. April 1945 Samstag vor Weißen Sonntag
Mit dem Befehl von offizier Kelch sollte die Möhnebrücke gesprengt werden. Man hatte schon alles vorbereitet, die Sprengladungen waren angebracht, nur hatte niemand so richtig gewusst wie schwer die Sprengung sein würde. Erst durch ein beherztes Eingreifen von „Rissen Chef“ (Fritz Risse) und einem Sprengmeister konnten sie Offizier Kelch überzeugen, dass diese Sprengung nicht nur die Brücke zerstört, sondern auch die gesamte Umgebung. Wiederwillig sah er dies ein und die Brücke wurde nur leicht zerstört, man nahm sogar noch Hammer und Meißel zur Hand, um diese unpassierbar zu machen. Letztendlich hatten die Amerikaner kein Problem, sie fuhren mit Panzern, Jeeps und LKW´s durch die Möhne. Kurz vor 12 Uhr brannte der Hof Kroll-Schlüter lichterloh, man vermutet, dass Kelch das Gebäude vorsätzlich angezündet hat, da dort viele Akten und Munition eingelagert war. Dann wehte die weiße Flagge am Kirchturm.
Heinz Tigges berichtete vom letzten Kriegstag in Belecke.
Mit dem Tag, als die Amerikaner in Belecke einmarschieren, beginnt der Erlebnisbericht von Heinz Tigges.
In der Woche nach Ostern war Belecke schon von den amerikanischen Panzern heftig beschossen worden. „Ich wurde am Morgen des 7. April wach und hörte ganz in der Nähe Motorengeräusche, sehr ungewöhnlich. Dann sah ich wie Panzer am Uelder Mühlenweg standen. Diese kamen immer näher und positionierten sich auf dem Hof von Welschenbeck, dem Sennhof, ihre Kanonenrohre zeigten in Richtung Belecke. Mein Vater versuchte schon mit dem Kommandanten zu sprechen, verstand aber kein Englisch, er kannte als Fremdsprache nur französisch. Er wollte ihnen sage, dass er sehr froh sein, dass sie nun hier seien“, erzählte er sehr lebhaft. „Heinz komm mal her“, rief ihn sein Vater und er versuchte es mit seinen Englischkenntnissen. Der Offizier war begeistert und seine spontane Antwort war: „Friend!“ Der Bann war gebrochen. Da Belecke noch nicht kapituliert hatte mussten sie schießen. Genau in die Richtung in der im Bunker an Stütings-Mühle unzählige Menschen Schutz gesucht hatten. Ebenso wollten sie auf die Altstadt schießen. „Doch nach langen Diskussionen schafften wir es, die Soldaten davon abzuhalten“, erzählte er weiter.
Lehrer Heinrich Tigges hat sich um die Rettung Beleckes verdient gemacht.
„Nun mussten wir, mein Vater und ich, mit den Amerikanern mitkommen. Sie gaben uns zum Schutz einen Papphelm, mein Vater, er war halbseitig gelähmt, musste auf dem Panzer mitfahren, er setzte sich auf die linke Seite und hielt sich so fest. Meine Mutter kam noch weinend hinter mir her gelaufen, sie hatte kurz vorher deutsche Soldaten mit Munition und Handgranaten gesehen. Als sie vom Pfefferkamp kamen, sie hatten noch schnell eine Pappel gefällt, die auf die Straße als Sperre dienen sollte, und dann weiter in die Bormecke gelaufen waren. Sie hatte große Angst um uns beide.
Wir fuhren mit den Militärfahrzeugen nur bis an die Panzersperre an der Külbe. Glücklicherweise trafen wir dort Josef Todt, der sich dort mit seinem Fahrrad aufhielt. Wir erklärten ihm den Ernst der Lage und schickten ihn zu Bürgermeister August Vollmer. Er war sehr nervös und fuhr so gut er konnte los, musste noch durch die Möhne, da die Brücke gesprengt war und erreichte dann völlig aufgebracht und erschöpft die Wohnung am Hamacherring. Dort erreichte er niemand. Dann wieder zurück, denn er glaubt jetzt der Bürgermeister hatte mit den anderen Beleckern im Bunker an Stütings-Mühle Schutz gesucht. Dort überbrachte er ihm die wichtigen Informationen und erklärte dem Bürgermeister den Ernst der Lage. Wenn er nicht kapituliere würden die Panzer auf die Altstadt schießen und der Bunker wäre auch ein sicheres Ziel. Nach vielem hin und her willigte Vollmer ein und schickte Schreinermeister Franz Stracke zusammen mit dem 14-jährigen Werner Wessel zur Kirche, sie sollen dort oben eine weiße Fahne hießen. Josef Todt fuhr mit seinem Fahrrad wieder in Richtung Lanfer und forderte alle auf, an ihren Häusern die weiße Fahne aufzuhängen.
Lehrer Heinrich Tigges Verdienst war es, er hatte sich um die Rettung Beleckes verdient gemacht, was sein Sohn Heinz noch in lebhafter Erinnerung hat, er hatte es hautnah als vierzehnjähriger Junge miterlebt.
Heimatvereinsvorsitzender Hans-Jürgen Raulf bedanket sich bei den Referenten und überreichte Geschenke.
Text und Fotos: Michael Sprenger