Jüdisches Leben in Belecke

In diesem Jahr gedenkt der Kultur- und Heimatverein Badulikum des 70. Jahrestages des Kriegsendes in Europa und damit des Endes der brutalen Nazi-Diktatur im Jahre 1945. Nach dem Auftakt am 7. April zur Kapitulation der damaligen Stadt Belecke, widmet sich der aus Belecke stammende Dresdner Historiker Werner Rellecke am 26. Juni 2015 der Geschichte des jüdischen Lebens in Belecke. Als beim großen Stadtbrand von 1805 auch das Belecker Rathaus in Flammen aufging wurden unersetzliche Unterlagen zur Stadtgeschichte vernichtet. Es liegen deshalb – wie zu vielen anderen Fragen auch – keine Einzelheiten über jüdische Einwohner Beleckes in Mittelalter und Neuzeit vor.

Wir können jedoch davon ausgehen, dass sich jüdisches Leben hier ganz ähnlich entwickelte und gestaltete wie in vergleichbaren Städten der Nachbarschaft und im Herzogtum Westfalen insgesamt. Das Herzogtum Westfalen unterstand politisch den Kölner Kurfürsten, die gleichzeitig Erzbischöfe von Köln waren, und es war größtenteils identisch mit dem kurkölnischen Sauerland. Quellen belegen, dass sich nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) weniger der Kurfürst als vielmehr die Landstände im Herzogtum Westfalen, also Adel und Städte, gegen die Niederlassung von Juden aussprachen. So erließ Kurfürst Joseph Clemens (Erzbischof von 1688-1723) im Jahre 1700 eine erneuerte Judenordnung, die die Niederlassung von Juden im Herzogtum regelte. Offenbar bestand die Notwendigkeit zu einer solchen gesetzlichen Maßnahme, denn uns sind aus dem 17. Jahrhundert zahlreiche Zeugnisse für die zunehmende Ansiedlung von Juden an Ruhr und Möhne überliefert. In Rüthen gab es bereits 1625 einen jüdischen Friedhof. In Anröchte, Warstein und Belecke sind für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts jüdische Einwohner nachweisbar. Juden konnten im Sauerland wie in der Regel im gesamten Heiligen Römischen Reich keinen Bürgerstatus erwerben. Sie erhielten aber durch sogenannte Geleite oder Schutzbriefe individuelle Rechte zugestanden und dadurch einen obrigkeitlich gesicherten Schutzstatus. Wer sich in einem Ort niederließ, benötigte ein Geleit und die Zustimmung der Lokalbehörden beziehungsweise des Stadtrates. Man nannte diese Juden „Geleitjuden“.

Kurfürst und Erzbischof von Köln Joseph Clemens von Bayern (Gemälde von Josef Vivien)

Lothar Hese darf sich 1680 ansiedeln
Die ersten konkreten Belege für jüdische Einwohner in Belecke stammen aus dem späten 17. Jahrhundert. Der Jude Lothar Hese war im Besitz eines Geleitschreibens, dass ihm im Namen des Landesherrn das Recht auf Niederlassung zugestand, sofern die angefragte Stadt dem Gesuch zustimmte. 1680 gaben die Belecker Stadtväter dem Gesuch Heses statt und dieser ließ sich in der Möhnestadt mit Frau und Kindern nieder – ebenso seine Schwester Sara und deren Ehemann Abraham.
Am 12. November 1693 wurde demselben Lothar Hese der Verkauf eines kleinen Geländestücks als Begräbnisstätte gestattet. Auf dem 1693 durch Kauf erworbenen Gelände wurde der Jüdische Friedhof angelegt. Nach jüdischer Sitte befinden sich die Friedhöfe immer in etwas abseitiger Lage. Sie sollten ruhige Plätze sein, die nicht durch den Trubel der Stadt belästigt werden konnten. Die Ausrichtung der Grabmäler weist – wie in Belecke – traditionell in östliche Richtung, also nach Jerusalem. Auch zählt es zur Sitte der jüdischen Friedhofskultur, dass einmal angelegte Gräber nicht verändert, aufgelöst oder neu belegt werden. Aus diesem Grunde benötigen jüdische Friedhöfe langfristig viel Platz. Vielleicht wurde deshalb in Belecke vorgeschrieben, wer auf dem jüdischen Friedhof begraben werden durfte: Dies waren Hese und sein Schwager Abraham mit ihren Familien und Nachkommen sowie gegebenenfalls ihre jüdischen Knechte und Mägde und ein Schulmeister, falls vorhanden. Heute stehen auf dem jüdischen Friedhof fünf Grabmäler aus dem 19. Jahrhundert. Als um 1900 alle Juden aus Belecke ausgewandert waren, wurde der Friedhof der Warsteiner Synagogengemeinde unterstellt.

Der jüdische Friedhof in Belecke (Dominik Schäfer 2011, CC-BY-SA)

Jüdische Gemeinden an Wester und Möhne
Die größte jüdische Gemeinde in der Umgebung bestand in Rüthen mit einem Höchststand von 80 Mitgliedern um 1840. Der dortige Friedhof fand erstmals bereits 1625 Erwähnung und zählt heute noch etwa 80 Grabsteine. Auch Anröchte hatte eine ähnlich große jüdische Gemeinde und einen Friedhof mit heute 62 erhaltenen Grabsteinen. In Warstein lebten in der Mitte des 19. Jahrhunderts zwischen 30 und 40 jüdische Einwohner.
Für das Jahr 1846 sind drei jüdische Haus- oder Familienvorstände in Belecke nachweisbar: Jacob Heilmann, Jacob Löwenstein und Jacob Ostwald. Erst zu dieser Zeit wurde es in Preußen, wozu Belecke in der Provinz Westfalen mittlerweile gehörte, offiziell Vorschrift, dass sich Juden – soweit noch nicht geschehen – Nachnamen zulegten. In der Bekanntmachung der Königlichen Regierung (von Preußen) über die Annahme fester Familiennamen seitens der Juden vom 15. September 1846 sind obige drei Namen erwähnt (publiziert im Beiblatt zum Amtsblatt, Arnsberg, 10. Oktober 1846). Die Familien Ostwald und Löwenstein waren im gesamten 19. Jahrhundert in Belecke ansässig. Besonders die Löwensteins erfreuten sich einer umfangreichen Nachkommenschaft. Allerdings verließen die meisten Belecker Juden in den 1870er und 1880er Jahren die Möhnestadt. Dies wird zum einen an den wirtschaftlichen Verhältnissen und zum anderen an den veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen gelegen haben.
Bis in diese Zeit war es für Juden immer noch umständlich bis schwierig, den Wohnort zu wechseln. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 und die deutsche Reichsgründung von 1871 brachten auch den Juden in Westfalen die bürerliche Gleichstellung mit den christlichen Einwohnern. Nun konnten sie bedeutend leichter einen Ortswechsel vornehmen. Die Belecker Juden sahen in großen Städten wie Dortmund bessere Chancen für den Wohlstand ihrer Familien und die Ausbildung ihrer Kinder. Das war in Rüthen oder Warstein anders, was an den wirtschaftlichen Verhältnissen gelegen haben wird. So entwickelte sich die Belecker Wirtschaft in der Zeit der Industrialisierung recht gemächlich und entsprechend auch die Einwohnerzahl. Wegen der Abwanderung ihrer jüngeren Mitglieder erlosch die jüdische Gemeinde am Ende des Jahrhunderts. Der letzte uns bekannte jüdische Einwohner in Belecke war Johanna Löwenstein. Ihr Grabmal auf dem jüdischen Friedhof nennt das Todesjahr 1900 (wird fortgesetzt).
Der Vortrag am Freitag, den 26. Juni, beginnt um 19:00 Uhr mit einer Einführung am jüdischen Friedhof und setzt sich dann gegen 19:30 Uhr fort in der Stadtbücherei „Stütings Mühle“. „Alle Interessierten sind herzlich eingeladen!“, so der Badulikum-Vorsitzende Hans-Jürgen Raulf.
Werner Rellecke

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